Die Idee mit Jakobsweg per Rad beschäftigt mich auch schon eine Weile, mit Details zur Strecke habe ich mich aber noch nicht sonderlich auseinandergesetzt. Wenn man aber z. B. danach googelt, ist häufig von einer Alternativstrecke für Radler zum eigentlichen Pilgerpfad die Rede, die weiter nördlich bzw. küstennäher verläuft, aber mit weniger echtem "Camino-Feeling".
Genau genommen müsste es immer "Jakobswege" heißen, denn das Ziel für den Pilger ist Santiago di Compostela und der Weg dorthin die Läuterung. Es ist eher eine moderne touristische Erscheinung, dass historisch häufig von Pilgern begangene Wege dann als der eine und einzige herausgestellt wird. Die Jakobswege bilden eigentlich ein ganzes Netz von Wegen durch Europa, denn nicht jeder wohnt in St-Jean-Pied-de-Port oder Pamplona, um mal zwei der häufigsten Ausgangspunkte für den bekanntesten der Wege, den camino frances, zu nennen.
Auch haben sich mit der Zeit einige Regularien eingespielt, wann der Jakobsweg "bewältigt" wurde - was nicht der Historie des Heiligen Jakobus entspricht, sondern eher dem Kriterienkatalog von Wanderpässen oder Sportprüfungen entspringt. Dazu ist eine gewisse Anzahl von Stempeln von Nöten und tatsächlich nur eine Strecke von 100 km (zu Fuß) oder 200 km (per Rad) - zu Pferd darf man auch. Es ist also jedem selbst überlassen, welchen Weg und welche Wegstrecke er läuft, reitet oder fährt - Stempel indes gibt es nur an heute "offiziellen" Routen, wozu auch der camino del norte (an der nordspanischen Küste) zählt. Die meisten Stempelstellen und auch die meisten Pilger finden sich zweifelsohne am camino frances. Der Vollständigkeit halber sei gesagt, dass es auch einen offiziellen Jakobsweg von Süden her - also Portugal - gibt - schließlich gibt es dort auch Gläubige mit dem Ansinnen entbehrungsreichen Wanders im Zeichen der Muschel. Je weiter man sich vom Ziel Santiago entfernt, desto komplexer wird das Wegenetz, aber desto weniger auffällig ist dort auch der Pilgerstrom. Überall gibt es sie - in den Vogesen, im Schweizer Turbental oder gar in Aichtal-Grötzingen - das Signet mit der Jakobsmuschel - mit oder ohne Kilometerangebane bis Santiago.
Ich selbst bin kein Pilger, bin auch nie den camino welcher Art entlang gelaufen/gefahren. Ich habe ihn aber häufig gekreuzt, in kleine Teilen begleitet, Pilger getroffen und gegrüßt - vor allem im Rahmen meiner
Vuelta Verde (Bericht beginnt etwas weiter unten auf der Seite), auf der ich u.a. auch durch Santiago und ans Cabo de Finisterre (für viele Pilger das eigentliche Ziel "am Ende der Welt") gelangt bin, gar einmal in einer Pilgerherberge westlich von Bilbao genächigt habe (lieber draußen im Zelt - Stichwort: Schnarchen, Geruch). Ich habe ein sehr gute Broschüre zum Jakobsweg mal auf der Touristikmesse erworben, da stehen auch viele Dinge drin, die nicht so direkt auf den verdächtigen Websiten stehen.
Es ist mir nicht erlaubt, finale Vergleiche zwischen camino frances und camino del norte zu ziehen - erlaube mir aber trotzdem eine Wertung: Pilgerwege sind nicht dazu gedacht, möglichst schön zu sein. Sie dienten vor allem dazu, möglichst schnell ein weit entferntes Ziel zu erreichen (deswegen sind das heute auch oft wichtige Transitstraßen) - allein die wochenlange Tortur in Wanderstiefeln sorgt für den Weg ins innere Ich. Ganz hartgesottene Pilger sehen in den Schönheiten der Natur sogar eher eine unzulässige Ablenkung. (Wie auch bestimmte abstrakte Maler schöne Landschaften als Störung ihrer Kreativität emfinden.) Daher ist das Nachfahren solcher Pilgerwege nur denen anempfohlen, die auch das Pilgererlebnis suchen - nicht zuletzt den Kontakt mit anderen Pilgern - z.B. in den Herbergen. Für Landschaftsfahrer sollten diese Wege nur Anhaltspunkte liefern.
Der camino frances entbehrt zwischen Navarra und Galicien nicht einer gewissen Ödnis. In Navarra sind es die Verkehrswege südlich der Pyrenäen, dann folgt das Gebiet Rijoa mit einem der größten Weinanbaugebiete und schließlich die Weiden und Weizenfelder der nördlichen Ausläufer der Meseta - allesamt im Sommer mit der Gefahr einer trockenen, erschlagenen Hitze. Der von vielen als schwierigste bezeichnete Teil in Galicien ist landschaftlich der reizvollste, wenngleich man den Reiz auch dort durch abweichende Routen steigern kann. Trotzdem sei gesagt, dass die meisten Berge in Galicien weniger schwer sind als in Kastilien-Léon, Asturien und Kantabrien - das Baskenland ist wieder etwas "weicher", auch wenn konstant hügelig.
Insofern ist der camino del norte attraktiver, weil mit wechselnden Küstenlandschaften, grüneren Hügeln (Costa Verde), bei Hitze mit Meeresbrise und im Sommer auch immer wieder mit Wetterwechseln, wie sie noch ausgeprägter auch in den Bergen des Kantabrischen Gebirges zu finden sind (wie in den Pyrenäen: auf kühle, nasse Witterung vorbereiten) - die Biskaya ist für ihren stürmischen Charakter bekannt. Aus weltlicher Sicht sind die Attraktionen im Norden vielfältiger und interessanter, sogar die Kulnarik dürfte hier besser sein - anderseits möchte sich ein überzeugter Pilger wohl nicht die Kathedrale von Burgos auf dem camino frances entgehen lassen.
Die beste Variante aus meiner Sicht ist natürlich die ständige Querung zwischen nordspanischer Küste hin zu den Südrändern des Kantabrischen Gebirges - jedoch meist nördlich des camino frances bleibend - nur so kann man lange, weite Ebenen vermeiden. Das ist allerdings auch höchst anspruchsvoll - eine Bergtour, alpin, mit Schluchten und Pässen, möglichst mit den Picos de Europa als einen der Höhepunkte. Welcher der beiden Pilgerwege leichter/schwerer ist, vermag ich nicht genau zu sagen, glaube aber, dass der camin del norte nicht leichter als der camino frances ist. Es gibt zwar ein paar leicht zu fahrende Küstenabschnitte - andernorts geht es aber dort recht hügelig auf und ab - zumindest wenn man sich landschaftlich schön immer küstennah bewegen möchte. In Galicien wäre es nach Santiago aber in jedem Fall einfacher auf dem camino del norte.