Re: Was bingt Nachlauf und Radabstand am Bike?

Posted by: iassu

Re: Was bingt Nachlauf und Radabstand am Bike? - 12/18/18 10:12 PM

In Antwort auf: Velo 68
...in welchen Situattionen oder für welche Zwecke geht man hier gerne in die Länge und was für vor und Nachteile hat es?
Es kommt drauf an, wie agil und beweglich man sein Fahrrad haben möchte. Daß sich ein Rad mit kurzem Radstand anders verhält, also auf die Steuerungen des Fahrers reagiert als eines mit langem Radstand ist leicht einzusehen. Es kommt wie so oft auf die vernünftige Mitte an.

Hierbei interessant, wie, in Medien und Politik üblich, die sachlichen Verhältnisse mit Eigenschaftsformulierungen belegt werden.

Lange läuft: positive Aussage, vermittelt: Das Angenehme steigt kontinuierlich mit der Länge.

Fahrverhalten wie bei einem Schiff oder Bus: negative Aussage, vermittelt: mit so einem ellenlangen Ding kommt man um keine Kurve.

Beide Aussagen können auf dasselbe Fahrrad bezogen sein.

Nervöses Lenkverhalten: negative Aussage, vermittelt: stressiges Herumhantieren, kaum geradeaus zu fahren.

Agiles Lenkverhalten: positive Aussage, vermittelt: das Rad tut auch, was ich will, vermittelt Fahrspaß.

Auch hier können beide Aussagen auf dasselbe Rad bezogen sein.

Mein Fazit: es ist erstens Erfahrungssache, worauf man sich wohl fühlt und zweitens, nicht letztens: Sympathiesache, unabhängig von Sachfragen, wie so vieles.

Ich habe mir mehrere Räder nach Maßvorgabe bauen lassen. Die damaligen, als ich noch jung, schön und grenzenlos fit war, hatten einen Radstand von 100 cm, Lenk- und Sitzwinkel von 74°, einen Nachlauf von 40 mm und eine gewaltige Sattelüberhöhung. Das Schwerfälligwerden durch gefüllte Frontroller beispielsweise konnte ich mit dieser Geometrie in Grenzen halten. Damit war ich sportlicher als Schmitts Turnschuh.

Heute sind meine Räder ohne Sattelüberhöhung, beanspruchen Raumbedarf auf 114 cm Radstand (das "Kurze") oder gar 144 cm (das "Lange"), sind auf behäbige 71° Lenkwinkel abgeflacht, der Nachlauf wuchs auf 55 - 65 mm. Meinem Bedürfnis, die Behaglichkeit des Sports im Sitzen ausführen zu können entsprechen sie, indem sie vollgefedert sind. Ich sitze dort oben in der bevorzugten Panoramalage, kann dennoch an einem Lenker ziehen, der vor mir und nicht unter mir ist und mein Nacken braucht keine Vorbereitungen zum Gulliontiniertwerden zu absolvieren. Die pubertierenden Rehe dürfen gerne um mich rum tanzen.

Was ich sagen will: Ausprobieren ist nicht ersetzbar. Allgemeingültige Gesetze kann es nicht geben, solange man nicht in exotische Bereiche vordringt. Ein Ironmanrad früherer Zeiten braucht niemand aufdemjenigen, was ich unter Radreise verstehe und mit einem richtigen Easyrider wird auf derselben auch niemand glücklich.

Das verlinkte Rad erachte ich für einen Museumsgimmick. Gewicht, Preis, Material und Ausstattung stehen für mein Empfinden in einem eklatanten Mißverhältnis.