Re: Nach sehr langer Zeit ein neues Reiserad...

Posted by: Radkater

Re: Nach sehr langer Zeit ein neues Reiserad... - 04/21/24 07:49 AM

Ich schulde noch den Ausgang meiner Radreise-Suche...

Ein wenig tendierte ich ja schon in Richtung Velotraum, da die nicht so weit von mir entfernt sitzen und ich dort direkt anstatt über einen Zwischenhändler kaufen könnte. Bei einem ersten (und ein wenig skurril abgelaufenen) unangemeldeten Besuch in Weil der Stadt im Rahmen einer Tagestour mit dem Rennrad konnte ich mir ein VK5 genauer ansehen; ein paar Wochen später entschied ich mich dann, mir ein solches zuzulegen, zumal die seinerzeitige Rabattaktion den Preis wieder ein wenig in Richtung meines Budgets gedrückt hat.

Also Termin vereinbart, vom Jetzt-nicht-mehr-Chef persönlich beraten und ausgemessen worden und schließlich ein hoffentlich stimmiges Rad konfiguriert. Als Liefertermin wurden ca. 6 Wochen genannt, was gut eingehalten wurde. Mitte Dezember konnte ich es dann abholen.

Auf die Einzelteile genauer einzugehen, erspare ich mir hier, bei Interesse einfach nachfragen. In Kürze: Alu-Rahmen VT100, Stahlgabel C-425, 25-mm-Laufräder (27,5"), Kettenschaltung 2x11, Scheibenbremsen, Tubus-Gepäckträger.

Lange herumgehirnt habe ich an einem winzigen Detail: Vorderbremse links oder rechts? Das alte Reiserad und das Stadtrad haben "vorne rechts", die Rennräder und das MTB "vorne links". Ich habe viele Radler gefragt und Hunderte von Forenbeiträgen gelesen, um für mich für dieses Rad zumindest eine Tendenz zu ermitteln, alles ohne wirklichen Erfolg, ich pendelte ständig hin und her. Am Ende war es eine reine Bauchentscheidung: Vorne rechts.

Als Reifen habe ich die Schwalbe Efficiency 584-55 ausgewählt. Bislang fuhr ich Schwalbe Marathon 622-28, die nur sehr mäßig geländetauglich waren; nun wollte ich auf alle Fälle etwas, womit ich mich auf besseren Schotterstraßen mit Gepäck leichter tu, und dachte dabei zunächst an eine Reifenbreite von ca. 40-45 mm. Der Mann von Velotraum schlug jedoch diese Reifen vor, keine Preisbrecher, aber trotz (oder wegen?) der Breite leicht laufend und mit guter Pannensicherheit. Ich vertraute ihm, und auf den ersten paar 100 km habe ich es nicht bereut, obwohl ich 90-95% Asphalt fahre. (In einem Parallelthread ist jemand ja richtig begeistert von denen.) Skeptisch war ich bei dem verbauten Leichtschlauch Schwalbe SV21A, doch auch hier vertraue ich mal auf die Erfahrungswerte des Veloträumers. Als einer der Ersatzschläuche in einsameren Gegenden kommt dennoch ein SV21 (ohne "A") ins Gepäck.

Vom alten Rad übernommen habe ich Pedale, Sattel, Batterie-Rücklicht und Akkuscheinwerfer. Aus meiner Ersatzteilkiste habe ich einen Flaschenhalter und eine Klingel entnommen, neu gekauft habe ich u. a. einen Rückspiegel (Mirrycle, den hatte ich schon am alten Rad, aber eben die Version für alte Nicht-STI-Rennbremsgriffe. Klasse, das Ding!)

Vor zwei Wochen ließ das Wetter dann endlich eine kleinere Mehrtagestour zu, ganz gezielt als Test gedacht, mit zwei (ebenfalls neuen) VauDe-Packtaschen, Zelt und Schlafsack, dazu vorne noch die Lenkertasche, insgesamt ca. 17 kg Gepäck. Hierbei habe ich besonders darauf geachtet, ob mich irgendetwas stört, was ich noch am Rad oder am Gepäcktransport ändern könnte, bevor es Ende Mai Richtung Mitternachtssonne geht. 5 Tage rund um den Bodensee, der erste kühl und nachmittags etwas nass, die anderen trocken und warm, wenn auch an den letzten beiden Tagen sehr trübe durch den Saharastaub. Dabei bin ich nur wenig direkt am See entlang gefahren, dafür viel im hügeligen Hinterland: Schwäbische Alb, Hegau, Seerücken, Appenzeller Land, Oberschwaben. Immer wieder bewusst etwas getestet: Bergauf- und abfahrten, Sattelposition, auch mal absichtlich weg vom Asphalt, an einer Bank unterwegs den Gepäcktransport etwas umgebaut und damit deutlich verbessert, und so weiter.

Das Resultat: Der Bock fährt sich richtig gut. Alles schön stabil, die Haltung auf dem Rad passt auch, ich sitze jetzt etwas aufrechter als bei der fast rennradmäßigen Position auf dem Randonneur und habe das Gefühl, mehr von der Landschaft um mich herum mitzukriegen - so wollte ich es ja haben. Allerdings hebt jetzt schon ab ca. 15% Steigung das Vorderrad ein wenig ab, der Schwerpunkt des ganzen Systems sitzt bei meinem sowieso sehr hecklastigen Aufbau doch weiter hinten als bei der gestreckteren Rennlenker-Haltung. Beim alten Pferd lag diese Grenze bei vielleicht 20%, ohne das ganze Zeltgeraffel gingen in England auch noch 25% hochgewürgt, ohne dass es zu scheuen begann.

Die Scheibenbremsen sind natürlich den alten Cantilever haushoch überlegen, Abfahrten machen damit nochmals mehr Spaß. Die Wahl "vorne rechts" habe ich nicht bereut - im Gegenteil: Selbst nach einer fast sechsstelligen Kilometerzahl mit "vorne links" fühlt sich für mich "vorne rechts" intuitiver an. Weiß der Geier warum, vielleicht weil meine allerersten Räder aus Kindheitstagen es so hatten und meine Pfoten und/oder mein Gehirn früh entsprechend konditioniert wurde. Oder was Anderes. Egal.

Die Schaltung: Am bisherigen Rad fuhr ich 3x7, was bedeutete, dass ich vorne recht häufig geschaltet habe. Diese Gewohnheit konnte ich noch nicht ganz ablegen, ich musste mich fast dazu zwingen, nicht zu früh vorne auf das kleine Kettenblatt herunterzuschalten, denn hinten hatte ich bei sanfteren Anstiegen noch viel Reserve bis zum 42er-Ritzel. Der von mir anfangs ein wenig skeptisch beäugte Ansatz "vorrangig hinten schalten, nur bei starkem Geländewechsel vorne den Schaltbereich ändern" scheint tatsächlich zu funktionieren, ich muss mich eben ein wenig umgewöhnen.

Was ich in diesen 5 Tagen noch wenig genutzt habe, waren die Lenkerhörnchen. Ich habe mir die Ergon GP5 gegönnt, um hin und wieder die Greifhaltung wechseln zu können, wie ich es beim Rennlenker fast schon automatisch tat. Allein, hier tat ich es kaum, selten mal wenige 100 Meter, aber aus einem mir noch nicht bekannten Grund geht das bei mir nicht "von alleine". (Als ich mir vor 9 Jahren das MTB gekauft hatte, wollte ich irgendwann auch mal Hörnchen montieren, doch ich tat es bis heute nicht.) Mal gucken, wie es weitergeht.

Eine fast schon erwartete Baustelle ist der Sattel. Mein alter Concor-"Geierschnabel" passte auf dem alten Rad wunderbar zu meinem Hintern (ich fahre ausschließlich Radhosen mit Polster). Am Anfang der Tour dachte ich, "prima, der funktioniert auch bei 80-km-Etappen auf dem neuen Rad", nach drei Tagen begann ich jedoch die Gesäßknochen deutlich zu spüren, möglicherweise durch die aufrechtere Haltung. Es war nicht wirklich übel, doch auf alle Fälle verbesserungswürdig. Hier werde ich noch mit der Sattelposition und -neigung und anderen Sätteln experimentieren.

Fazit: Wenn ich an dem neuen Rad nun ebenfalls 34 Jahre Freude haben werde wie an meinem Eigenbau vom 1989, hat sich der ganze Aufwand gelohnt. Bislang spricht nichts dagegen, im Gegenteil. (Leider steht zu befürchten, dass dann der (E-) Rollator mein Hauptverkehrsmittel sein wird... :o))

Danke nochmals an alle Mitdiskutanten.

Der Radkater