5.9. Kristiansand - Stavanger, gefahrene Kilometer: 90Jemand meinte mal, Norwegen sei Himmel und Hölle auf einem Fleck. Nun, an diesem Morgen lerne ich zunächst einmal den Himmel kennen. Das Thon Hotel Kristiansand konnte ich im Januar bereits vorab bezahlen, und es verwöhnt mich regelrecht. Kaffee auf Zimmer umsonst, das vom Hotel zur Verfügung gestellte Duschgel riecht so gut (Scandic White), dass ich mich gleich zweimal damit dusche. Und ich frag die Rezeption sicherheitshalber nochmal, aber ja, doch, dieses holzvertäfelte, urgemütliche, kerzenlichtbeleuchtete Restaurant da drüben ist der Ort, wo ich frühstücken werde. Das Büffet ist gewaltig: 5 Sorten Brot, 5 sorten Brötchen, 3 Sorten Knäckebrot, 5 Sorten Käse, 5 Sorten Wurst, 5 Sorten Fisch, weiche, harte und gebratene Eier...es lässt keine Wünsche offen.

Die Musik ärgert mich zunächst, weil es Mainstream-Pop ist, aber nach einer Weile fällt mir auf, dass ich (auf Arbeit zwangsbeschallter) keinen einzigen Titel davon kenne. Überhaupt ist der Gesang weit weniger penetrant aufmerksamkeitsheischend und original-englisch-rauskehrend. Als ein besonders ruhiger, geradezu bluesiger Titel gespielt wird, erkenne ich dann doch eine Stimme: Morten Harket, Sänger von a-ha. Ich bin mir inzwischen sicher, dass ich fast ausschliesslich norwegischen Mainstream-Pop gehört habe.Ausserhalb von Norwegen wird das einfach zu unaufdringlich sein, um Erfolg zu haben, aber hier, im Himmel, ist es genau richtig.
Dafür lerne ich dann auch gleich danach die Hölle kennen. Und wie das so ist mit dem Teufel: er verführt einen erstmal. In meinem Falle mit einen erstklassigen Fahrrad-Highway, auf dem ich nur so herunterrausche und "YEEHAW" schreie.(Ja, das da ist keine Auto-Strasse, sondern ein Fahrrad-Highway!) Als ich an einen Abzweig komme, guck ich dann doch mal auf die Karte. Ich hab mich natürlich komplett verfahren. Ich könnte nach Süden weiter, aber dort ist Industriegebiet. Denselben Weg zurück ist gegen meine Prinzipien. Also beschliesse ich, eine kleine Runde zu fahren. Mich stört auch nicht, dass es erstmal richtig knackig bergauf geht.
Ja, das ist Norwegen, sag ich mir. Ich tröste mich damit, dass es irgendwann auch wieder bergab geht. Tut es auch, und ohne mein Zutun erreiche ich 50 km/h. Ich muss bremsen, solche Geschwindigkeiten bin ich mit meinem Rad gar nicht gewohnt. an einem Abzweig folge ich wieder meinen Prinzipien. Auch wenn es diesmal noch stärker bergauf geht. Ich meine, VIEL stärker. Aber ich bin jung und....
Als ich an der Strasse namens Kasteien ankomme, bin ich fix und fertig. Klar meine Beine können noch, die können immer, aber meine Lunge weigert sich. Doch hier oben hab ich wirklich einen unglaublichen Blick auf die Küste.
Meine Route führt mich auf dem Radweg neben der E 39. Es ist war recht laut, aber rechts von mir tut sich Norwegen in all seiner Pracht auf.
In Søgne bieg ich in den Leireveien ein, in der Hoffnung, vom Verkehr ein bisschen weg zu kommen. Und tatsächlich wird der Verkehr immer geringer, je weiter ich von der E39 wegkomme.
Doch ich hab mit etwas für mich Flachlandfahrer ungewohnten zu kämpfen: Anstiege. Auf und Ab. Sie sind alle nicht sehr heftig, aber die Masse und die Längen machen sich bemerkbar. Als ich in Ausvik Pause mache, spüre ich etwas ungewohntes in meinen Beinen: Angst. Vorm nächsten Anstieg. Der mir den Atem und die Kraft nimmt. Mich langsamer macht. Vielleicht zu langsam.
Kopfsache, sag ich mir. Was bleibt mir auch anderes übrig ? Nach jedem Anstieg sag ich mir, ich werd heute noch hunderte solcher Anstiege haben. Doch es ist gegen meine Fahrradfahrerehre, abzusteigen, weil es zu steil ist oder ich nicht mehr kann. Schieben wäre ein Sakrileg. Doch ich kann mich erstaunlicherweise auch immer oben halten. Ich mach mir aber auch keine Illusionen: mit Zelt und Lowridern würde das anders aussehen.
Die Aufstiege sind auch nicht das, was mich ausbremst. Es ist die Landschaft. Immer wieder muss ich anhalten und Fotos machen. Als ich auf die grosse Brücke beim Rosstadveien komme, wo es danach südlich nach Alo geht, halte ich sogar richtig lange. Und hab trotzdem das Gefühl, ich hetze nur so durch die Landschaft. Ich müsste hier eine Weile bleiben, mir ein Haus mit Boot mieten. Und dann diese Mini-Fjords abfahren. Dass diese viel kleiner sind als die grossen Fjords, macht auch ihren Reiz aus. Viele Inseln sehen aus wie japanische Gärten.
Bis Tregde bleibt die Landschaft bilderbuchhaft atemberaubend, der Verkehr gering bis nichtexistent. Danach wird er heftiger, je näher ich Mandal komme. Ich erreiche Mandal 13.00 Uhr, 3 Stunden vor meiner mir selbst gesetzten Deadline.
In Mandal herrschen bezüglich des Verkehrs englische Verhältnisse. Auf Strassen, wo bei uns nur ein Auto langdürfte, zwängen sich hier 2 in unterschiedlichen Richtungen. Zwei Verkehrspolizisten, die den Stau auflösen sollen, verurachen nur noch mehr Stau. Die Pizzeria, wo ich eigentlich essen wollte, weil sie Wasserblick hat, muss ich sein lassen, weil sie direkt an der Strasse liegt. Und nicht weit davon ist eine recht laute Baustelle. In den schattigen Gassen dahinter ist eine recht gute (aber auch sündhaft teure) Pizzeria.
Ich bestell mir nur die kleine vegetarische Pizza. Trotzdem 20 Euro umgerechnet.Ich esse langsam, da ich ja Zeit habe. Aber so langsam kann man alleine gar nicht essen, dass 3 Stunden verfliegen. Ich fahr noch ein bisschen herum, aber irgendwann wird mir Mandal zu hektisch. Ich will wieder Natur.
Es gibt 2 Strassen nach Marnardal. Ich nehm die links vom Fluss, da sie kleiner ist, und hoffe auf weniger Verkehr. Die Strasse ist nagelneu, und der Verkehr im Grunde genausso stark wie auf der anderen Seite. Nur dass auf der anderen Seite die Autos schneller (und lauter) unterwegs sind. Das ganze bleibt so, bis zur Brücke bei Holum, ca. 10 km nördlich von Mandal.
Es ist die Brücke, die den Verkehr verursacht. Nach der Brücke wird die Strasse schlechter und der Verkehr geringer. Irgendwann verschwindet der Asphalt ganz, der Weg ist jetzt plattgefahrener Kies. Aber immer noch Leitplanken.
Hier kommt mir kein Auto mehr entgegen. So richtig ruhig ist es hier aber auch nicht. Es ist eine gespenstische Gegend von Norwegen, wo man den einzigen Rasenmäher eines 5-Häuser-Ortes im ganzen Tal hört.
Irgendwann wird der Fluss zur Stromschnelle. Und auch die Leitplanken verschwinden. Ich mach erst mal Pause. Nicht weil ich muss, sondern weil ich einfach zu viel Zeit habe. Ich suche nach Alternativen und Umwegen, um die Zeit totzuschlagen, und entdecke die Fv22. Die müsste in 2 1/2 stunden zu schaffen sein. Die Qualität des Weges scheint auf eine ruhige Strasse hinzudeuten.
Nach einer halben Stunde breche ich das ganze ab. Dass der Weg immer schlechter und die Anstiege immer heftiger werden würden, damit hatte ich gerechnet, auch damit, dass die Anstiege alles bisherige in den Schatten stelllen würden. Dass es knapp werden würde. Aber ich hatte um diese Zeit nicht mit derartigem Verkehr gerechnet. Immer, wenn ich denke, jetzt hab ich die Strasse für mich allein, kommt aus dem Nichts ein SUV geschossen, und einmal auch ein LKW. Und keiner davon ist geneigt, wegen mir mal seine Geschwindigkeit zu drosseln. Zu so später Stunde verdirbt das jeden Spass.
Also fahr ich zum Laden gegenüber dem Bahnhof von Marnardal, genehmige mir das letzte Eis vor Ladenschluss, und beschliesse zu warten. Als ich den Berg vor mir sehe, halte ich den Abbruch mehr den je für das Beste. Ich hätte es bei solchen Höhen niemals in der Zeit geschafft. Aber was jetzt tun, 2 stunden lang? Wirklich ruhig ist es hier ja nicht. Ist das eine Motorrad-Gang? Nein, es ist nur ein Motorrad. Das Echo. Was macht hier so ein Krach, als ob ein Bergwerk in der Nähe wäre? Achso, ein ganz normaler Schaufelbagger. Das Echo ist wirklich beängstigend. Um 19.39 Uhr soll eigentlich der Zug kommen. Um 19.45 Uhr sagt die Bahnhofsstimme aus dem Nichts mit einer Lautstärker, dass es das ganze Tal hören muss, dass der Zug gerade jetzt von Kristiansand losgefahren ist.
Diese Zugfahrt sollte für mich Zugbegeisterten eigentlich ein Highlight meiner Tour werden. Einmal mit den Krengetog. Es wird in mehrfacher Hinsicht ein Reinfall. Eine halbe Stunde zu spät. Kein Krengetog, obwohl er in den letzten 2 Stunden 2mal hier vorbeifuhr. In Snartemo bekom ich das Riesenschwert nicht zu Gesicht. Von Sira und Moi, zwei einstmals potentiellen (aber dann mir doch zu teuren) Übernachtungsorten seh ich nur die Lichter an der Küste. Das Fahradabteil ist ein Witz, 5 Haken zum Aufhängen beim Speisewagen.
Aber das Schlimmste: ich hab NSB Comfort gebucht, mit Platzreservierung. Ich wollte meine Ruhe haben. Doch im Gegensatz zum Rest des Zuges ist das Comfort-Abteil voll - und eine alte Dame mit vorwurfsvollen "sie wollen doch jetzt nicht eine alte Dame von ihen Platz verjagen?"-Blick sitzt auf meinem Platz. Nichts, absolut nichts, weist darauf hin, dass mein Platz überhaupt reserviert ist. Als ich auch noch eine deutsche Handystimme vernehme, verziehe ich mich endgültig ins normale Abteil. Die Sitze sehen aus wie ICE-Sitze, mit einem Unterschied: hat man die Lehne einmal verstellt, muss man aufstehen, um sie wieder zurückstellen zu können.
Wenigstens ein gutes kann ich über den Zug sagen: Er fällt schnell, sehr schnell. Von 0 auf 100 in 5 sekunden. Durchschnittsgeschwindigkeit 160 km/h.
Als ich um 23 Uhr in Stavanger ankomme, herrscht dort ein Verkehr wie auf dem Kudamm um die gleiche Zeit. Norwegen hat nur 4 Millionen Einwohner? Eine Million müssen davon allein in Stavanger wohnen.
Fortsetzung folgt....