Ich weiß ja nicht, wann du in Kiel gewohnt hast, aber hier haben sich allerlei Erkenntnisse durchgesetzt.
Das ist 20 Jahre her. Aber ich bin seither doch mindestens einmal im Jahr dort gewesen und es hat sich nach meiner Erfahrung eher verschlechtert.
Zum Beispiel sind eine Vielzahl Radwege noch vorhanden, aber nicht mehr benutzungspflichtig. So kann jeder selbst entscheiden, wo er lieber fahren möchte. So ziemlich alle Einbahnstraßen können Radler in Gegenrichtung befahren. An einigen großen Kreuzungen gibt es eigene Abbiegerspuren für Radler sowie vorgezogene Haltelinien. Es gibt diverse Fahrradstraßen und Velorouten, und an weiteren Dingen - zum Beispiel eine Fahrradstation am Bahnhof - wird emsig gearbeitet. In Kiel ist nicht alles super, das sagt niemand, aber seine Note hat es durchaus verdient.
Die Schnellverbindungen sind für Radfahrer weiterhin gesperrt oder nur auf Radwegen mit vielen Zusatzampeln freigegeben, z.B. Olof-Palme-Damm, Theodor-Heuss-Ring, Konrad-Adenauer-Damm. Als "Ausgleichsmaßnahme" für den Olof-Palme-Damm wurde noch ein Stück vom Mühlenweg abgerissen, das vorher noch einen gewissen Wert als Verkehrsverbindung gehabt hat. Für die Flughafenerweiterung bezahlt die Flughafengesellschaft die nötigen Straßenumbauten und -umtrassierungen. Für die Autos wird ein Tunnel unter der Piste durchgebaut, für Radfahrer wird ein weiterer Kilometer Umweg eingebaut, um der Flughafengesellschaft die Kosten für einen Radwegtunnel zu sparen. Die Verbindung zum Nordufer nach Holtenau, Schilksee etc. ist sowieso schon praktisch unbrauchbar. Ein Dutzend Zusatzampeln mit zum Teil extrem langen Rotzeiten für Radfahrer und schon heute mehrere Kilometer Umweg durch Zickzack-Führung der für Radfahrer freigegebenen Verbindung. In Richtung Süden sind sie dabei, die N404 ersatzlos abzuschaffen bzw. noch bis zur Stadtgrenze irgendwelche Zickzackverbindungen für Radfahrer zu machen, die sehr viel zeitraubender als die heutige Direktverbindung sind. Vielleicht kann man so manche von diesen Schikanen etwas lockerer nehmen, wenn man nicht mehr dort wohnt und folglich auch nicht mehr die Ortskenntnis zur ordnungswidrigkeitenfreien Bewältigung der Schikanen erwartet werden kann.
Aber Kiel würde ich als den Versuch ansehen, eine autogerechte Stadt zu bauen. Gerade was die Veränderungen der letzten 20 Jahre betrifft. Der Schwerpunkt der Kieler Verkehrspolitik ist es, in sieben Richtungen vierspurige kreuzungsfreie, für Radfahrer gesperrte Straßen zu haben oder zu bauen. Ich bleibe bei der Note 5. Meinetwegen 4.5 wegen der Einbahnstraßen und wegen des Verzichts auf die Radwegbenutzungspflicht bei einigen Verbindungen.
In Zürich kann man ein ganzes Stück kreuzungsfreier vierspuriger Straßen einfach auf der Fahrbahn befahren. Da kommt man sehr flott voran. Wenn man Zeit und Lust hat, gibt es auch andere Straßen zur Wahl. Das könnte man in Kiel auch leicht machen. Einfach Radwege am Theodor-Heuss-Ring, Ostring und Konrad-Adenauer-Damm von der Benutzungspflicht befreien, Olof-Palme-Damm und die Straßen über den Kanal nach Schilksee und Wulfshagenerhütten in eine normale für Radfahrer freigegebene Straße umwidmen und dann würde ich auch eine gute Note geben. Ich finde aber, daß es zur Verwirrung beiträgt, für das, was man heute in Kiel findet, etwas besseres als
sagen wir 4.5 zu geben.
Wir haben uns so sehr an die absurde Förderung des MIV und Verdrängung des Radverkehrs von allen schnellen Verbindungen gewöhnt, daß wir das gar nicht mehr komisch finden. Für die Verlagerung von Verkehr vom Auto auf das Fahrrad ist aber wichtig, daß das Fahrrad vor allem schneller gemacht wird, was durch weniger Schikanen, weniger Zusatzampeln und weniger Zusatzumwege.