Ja und man sollte nicht erwarten wollen, dass der Nachholebedarf, der sich in 40 Jahren ergeben hat, in 20 Jahren aufzuholen ist, so schön das auch wäre. Durch die Mitgliedschaft in der EU ist sicher manches auf dem Weg, was ohne diese überhaupt nicht möglich wäre. Wenn ich die Fahrrad-Infrastruktur mit der vor 30 Jahren vergleiche, so hat sich schon einiges getan. Und leider ist in der momentanen Situation anderes wichtiger, als die Bedürfnisse der relativ wenigen ausländischen Reiseradler zu befriedigen. In der Tourismus-Branche setzt man außerdem mehr auf den mehr Geld einspielenden "Qualitätstourismus" (Übersetzung des in Ungarn gebräuchlichen Wortes), d.h. Übernachtung in 4-5 Sterne-Hotels, Inanspruchnahme von Wellnes-Diesnstleistungen, Kongresstourismus usw. Da bleiben die anderen, egal ob Radler oder Rucksack-Touristen außen vor.
Und was die vernachlässigten Städte anbelangt:
Aber das ist jetzt off topic von off topic, dient aber vieleicht dem Verständnis: In Ungarn hat man Anfang der 90-er Jahre leider fast den gesamten Wohnungsbaubestand privatisiert, das bedeutet, die Bewohner konnten die bisher gemieteten Wohnungen für einen kleinen Teil des Marktwertes kaufen, der Staat war froh, die maroden Gebäude loszuwerden, aber die Käufer verfügten kaum über finazielle Reserven zur Instandsetzung und Instandhaltung. Und bei ca 400 Euro Verdienst (z.B. für einen Lehrer)ist es kaum zu erwarten, dass sich die notwendigen Rücklagen bilden, ganz zu schweigen davon, dass Renovierungen oft nur möglich waren, wenn alle Teilbesitzer eines Hauses diesen Maßnahmen auf einer Hauptversammlung zugestimmt haben, und auch bereit waren, den entsprechenden finanziellen Anteil zu tragen. Erst ab etwa einen Jahr reicht dazu eine Mehrheit, ob 50% oder 2/3 weiß ich jetzt auch nicht). Natürlich kommt auch ein bisschen die Mentalität ins Spiel, aber wer seinen Lohn zum nackten Überleben braucht, hat andere Interessen, als die Verschönerung seiner Umwelt, umweltschutzfreundliches Verhalten o.ä. Ein bisschen täuschend sind natürlich die vielen protzigen Autos z.B. in Budapest, oder die Villen am Balaton, aber die Mehrheit der Bevölkerung wird nicht durch diese repräsentiert. Die Schere zwischen Arm und Reich ist in den letzten Jahren um Vieles größer geworden, und die Gefahr für die Mittelschicht, abzurutschen, wird immer größer.
Obwohl ich auch viele Dinge kritisieren kann, denke ich, dass man sich da als Außenstehender etwas zurücknehmen sollte, wenn man die näheren Umstände nicht genau kennt und das betrifft nicht nur Ungarn. Eine Kritik kann ich jedoch jederzeit akzeptieren: Die ungarischen Autofahrer sind im Allgemeinen wesentlich rücksichtsloser als die deutschen oder österreichischen, aber das liegt vieleicht zum Teil daran, dass die Radfahrer erst in den letzten 10-15 Jahren verstärkt auch Verkehrsteilnehmer auftreten (bis dahin fuhren nur die Dorfbewohner bis zu ihrer Kaufhalle)und den Autofahrern den bis dahin zur Verfügung stehenden Platz einschränken. Und die Ellenbogenmentalität, die Missachtung von Normen und Gesetzen (wie sie auch von den eltären Schichten vorgelebt wird) tut ein Übriges dazu.
Entschuldigt bitte, wenn ihr euch zu lange mit meinem Beitrag aufgehalten habt, aber eine undifferenzierte Betrachtungweise treibt mich immer wieder vom Neuen dazu an, hier etwas richtig stellen zu wollen.
Liebe Grüße aus Budapest, von einem der das Land seit 1973 kennt und mit einer Unterbrechung von 1979 bis 87 hier lebt.
Martin